Gründlicher Unterricht im Billardspiele.
von V.R.Grüner
Mit fünf, alle Gattungen Stöße erläuternden, Kupfertafeln.
(Anmerkung: Kupfertafeln snid leider nicht verfügbar)
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Wien 1827. Im Verlage bey Carl Haas
Vorrede.
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Das Billardspiel stammt, so wie die meisten neueren Spiele, aus Frankreich.
Bald nach seiner Erfindung fand es in Italien*),
den Niederlanden und Deutschland Eingang, endlich auch in England
und im übrigen Europa.
Dieses Lieblingsspiel
Ludwig's des XIV. war anfänglich nur die Unterhaltung von Personen
höherer Stände, und nur in den Salons der Vornehmen Welt fand man
Billardtafeln; heut zu Tage ist es die Lieblingsunterhaltung aller
Stände, jedes Alters; und das geringste Landstädtchen hat sein Billard
aufzuweisen, kurz, es ist fast in allen Weltheilen bekannt und beliebt
*) Wir können nicht begreifen, mit welcher
größern Authenticität das zu Leipzig in der Sommer'schen Buchhandlung
erschienene, übrigens sehr schätzenswerthe Taschenbuch für Billardspieler,
behaupten könne, daß das Billardspiel Frankreich seine ganze Kultur
und Italien nur das Daseyn zu danken hat. Die Bemerkung über das
geringe Alter des Spieles, lassen wir dahingestellt seyn, weil Alter
ein sehr relativer Begriff ist, und wir nicht wissen, welchen Maßstab
von Jahrhunderten der Hr. Verfasser jenes Taschenbuchs dafür annimmt.
Diese schnelle und allgemeine Verbreitung verdankt es mit Recht seinen
vielfältigen anziehenden und wohltätigen Eigenschaften.
Es ist ein Spiel, sein Zweck ist folglich Erholung des Geistes und
Körpers, und diesen gewährt es , wie kein anderes Spiel. Betrachten
wir alle Spiele zusammen, so sehen wir das Schach und das Ballspiel
als die äußersten entgegengesetzten Puncte, zwischen denen das Billardspiel
die glückliche Mitte behauptet. - Das Schachspiel, das Leibnitz eine
Wissenschaft nannte, nimmt die ganze Geistige Kraft eines Menschen
in Anspruch, während es die förderlichen Kräfte in Unthätigkeit läßt.
Das Ballspiel erfordert zwar durchaus keine geistige Combination,
dafür aber außerordentliche Anstrengung der Muskeln, und so kehrt
man von beyden ermattet zurück, und Abspannung ist der Gewinn anstatt
der Erholung.
Das Billardspiel dagegen gewährt nichts als angenehme, zuträgliche
Unterhaltung. Die erforderliche leichte Anstrengung und Bewegungen
des Körpers setzen es in die Reihe der gymnastischen Uebungen, das
verschiedene Beugen, Ausstrecken, die unzähligen Veränderungen in
der Haltung u.s.w. vertreten das Gehen, eines der wichtigsten Mittel
zur Erhaltung der Gesundheit; die ununterbrochene Bewegung erleichtert
und befördert den Blutumlauf, erhöht die natürliche Thätigkeit und
wirkt für die Verdauung. Selbst das grüne Billardtuch gewährt dem
Auge einen sanften, wohlthuenden Anblick und stärkt dasselbe; das
Dahinrollen der farbigen Bälle auf der dunkeln Decke, die zahllosen
Veränderungen des Abprallens u.s.w. erfreuen den Blick, so wie das
Abmessen der Entfernung und der Wege, welche die Bälle zu nehmen haben,
das Auge und die Beurtheilungskraft stärkt. - Der Scharfsinn ist in
steter Tätigkeit, da jeder Stoß eine neue Stellung hervorbringt, welche
der Spieler zu seinem Vorteile zu benützen sich bemüht; - jeder Stoß
bietet ihm spielend die Gesetze der Mechanik und Geometrie zu lösen
an. Bey keinem Spiele entscheidet der Zufall weniger, alles hängt
von persönlicher Kunst, schneller Erfindung und Combination und entschlossener,
kräftiger und sicherer Ausführung ab. Denken und Handeln müffen die
Sache des Augenblicks sein, daher auch das Gelingen nirgends mehr
Vergnügen als hier gewährt.
Selbst für den Anstand ist das Spiel nicht Gleichgültig. Man betrachte
nur einen vorzüglichen Spieler; er weiß seine Kraft und Grazie zu
verbinden; Ruhe und Anstand, Sicherheit , Kraft und Gewandtheit verrathen
sich in allen seinen Bewgungen. Selbst Damen vom ersten Range haben
daher dieses Spiel für würdig ihrer Unterhaltung geachtet, und wahrlich
ist es so sehr als der Tanz geeignet, alle Vortheile eines schönen
Körpers in graziösen, anstandsvollen Lagen zu zeigen.
Alle diese Eigenschaften haben ihm mit Recht den Nahmen des edlen
Billardspiels erworben. Es wird wie das Schachspiel , seinen Rang
noch behaupten, wenn alle andern Spiele längst vergessen seyn werden.
Die Mode kann wohl neue Spielarten, das Genie neue Kunststücke erfinden,
das Wesenzliche des Spiels aber, welches heut zu Tage in so großer
Vollkommenheit ausgeügt wird, kann keiner Veränderung unterworfen
seyn, da es auf die ewigen Regeln der Physik gebaut ist.
Wir dürfen hier aber auch die Mißstände nicht unberührt lassen, um
uns nicht dem Vorwurfe auszusetzen, als billigten wir sie schweigend.
Es ist darunter nicht sowohl das Spielen um Geld schlechterdings gemeint,
als vielmehr jene Kniffe, die eine gewisse Classe von Professionsspielern,
zur Bevortheilung der Neulinge, ersonnen hat. Wir werden später, weil
es uns Pflicht scheint, den Unerfahrnen vor solchen Ränken zu warnen
und ihn die Schlingen kennen zu lehren, Gelegenheit finden, ein paar
Winke zu geben, und bemerken hier nur Folgendes: Der Zweck des Spieles
ist Erhoöung, Unterhaltung und Uebung der Körper-und Geisteskräfte.
Es Ist daher durchaus nicht nöthig, daß es um Geldgewinn gespielt
werde; bey seinen edlen Eigenschaften dürfte es sogar in den Augen
des strengen Kritikers verliehren, wenn man es mit Geldgewinn verbindet.
Dennoch ist es nicht durchaus verwerflich, so lange der Gewinn nichts
anders als ein kleines Pfand bedeutet, das der Verlierende abgeben
muß. Dieses zu vermeiden, sogar als Sieger zu gewinnen, erhöht den
Reiß des Spieles. Doch gilt dies nur, so lange Alles in den Schranken
der Mäßigleit bleibt. Wird aber um hohes Geld gespielt: wie bald muß
nicht das Vergnügen der Leidenschaft weichen; wie bald will man nicht
mehr die Parthie, sondern eigentlich das Geld gewinnen! Und so vertauscht
man die edle Freude des Sieges über den Gegner gegen die befriedigte
Habsucht, und das Spiel hört auf, für den Geldspieler ein edles zu
sein.- Die besonders den jungen Leuten bald gesteigerte Leidenschaft
treibt den Verlierenden an, seinen Verlust wieder hereinzubringen,
der Gewinner hofft noch mehr auf so leichte Art zu erwerben; er ist
nun blind genung, des Entehrende nicht zu sehen, was dem Spieler von
Profession anklebt; er vergißt seine Fähigkeiten, die ihm zur Verwendung
für's Beste seiner Mitmenschen ertheilt wurden, er versäumt seine
Arbeit oder Studien, setzt seine ruf in Gefahr und fällt endlich sicher
den Gaunern in die Hände, wenn er sich nicht gar so weit vergisst,
selbst den Glücksritter zu machen.-Doch genug dieser Bemerkungen!
Wir glauben die Schattenseite nich unbeleuchtet lassen zu dürfenund
hielten unsere Warnung für Pflicht; um unseren Zweck ganz zu erfüllen,
werden wir zugleich später Gelegenheit nehmen, über die Mittel zu
reden, ahnlichen Lockungen auszuweichen, und im unvermeindlichen Falle
eines solchen Zusammentreffens durch zeitige Erkenntnis der gelegten
schlingen, den drohenden Nachteilen zu entgehen. Daß auch dieß höchst
nöthig seyn wird Niemand in Abrede stellen, da stark besuchte Billards
von solchen, die öffentlichen Vergnügungsörter als ihre ergiebigste
Erwerbsquelle betrachtenden Glücksrittern umschwärmt sind, deren einziges
Studium und Geschäft die Verlockung und Bevortheilung des Unerfahrenen
ist.
Bevor wir diese Einleitung schließen, übrigt uns noch etwas über
gegenwärtige Anweisung überhaupt zu sagen. Wir zweifeln keineswegs,
daß Mancher bey Erblickung unsers Buches lächeln und gnädig bemerken
wird: das Billardspiel läßt sich aus einem Buche ebenso gut lehrnen,
als das Reiten und Fechten...
Wir behaupten nirgends, daß, wer dieses Buch auch auswendig gelernt
hätte, nun sogleich zum Billard treten und siegreich spielen könne.
Wenn gleich ein Nichtspieler nach Aufmerksamer Durchlesung des Buches
und Auffassung der Grundsätze schon einen richtigen Beurtheiler abzugeben
vermag, so wird er doch noch nicht im Stande seyn, auch nur den einfachsten
Stoß auszuführen. Was wir aber behaupten und zu beweisen gedenken,
ist: daß nach vorgängig theoretischem Unterrichte der Anfänger weit
schneller, sicherer und minder kostspielig zum Ziele gelangen wird.
Unser Zweck ist, die Grundsätze des Spieles physisch und mechanisch
zu erklären und geometrisch zu zeigen; der Lehrling wird dann sogleich
wissen, woran er im Praktischen zu gehen habe: er wird die Gränzen
des Möglichen und Unmöglichen schon voraus kennen und weder einfache
Vorfälle ail außerordentlich bewundern, noch unnütze und unausführbare
Dinge zu leisten sich vergeblich bestreben.Es bleibt ihm dann noch
immer genug Uebung anzuwenden übrig, welche dann nach dem alten Sprichworte
den Meißter machen wird.
Wie wird denn das Spiel gewöhnlich erlernt? Man zeigt dem Neulinge
einige Stöße; Er sucht sie nachzuahmen, der Ball gehorcht nicht und
der Meister wiederholt die Anweisung, indem seine ganze Erklärung
ist: Nicht so, sondern so... Wird ja noch etwas beygesetzt, so ist
es immer so unbestimmt, daß es doch nichts weiter heißt, als der Lehrling
solle es nachmachen. Der Lehrling macht die Stöße nun tausendfältig
nach, bis endlich sein Arm gehorsamer wird und er gleichsam die Regeln
selbst erfinden muß. Nach unendlicher Uebung hat er nun den mechanischen
Theil des Spieles gefaßt, wieviel braucht er wieder, um die Spiel-Raison
zu erlernen! Wer einigermaßen über die Sache nachdenkt, kann nicht
verkennen, daß im Billardspiele nicht allein der Arm, sondern auch
der Kopf lernen muß. Wer wird nun behaupten wollen, daß das, was die
Beurtheilungskraft, Kombination, Berechnung, mit einem Worte, den
theoretischen Theil der Lehre angeht, nicht aus einem Buche erlernt
werden könne? Und wenn er dies zugibt wird er noch ferner behaupten:
es wäre kein ansehnlicher Vorsprung für den Lehrling, wenn er gleich
alle Principien enthüllt bekäme, anstatt das er sie nach mühevoller
langwieriger Uebung sich selbst erfinden oder eigentlich nur dunkel
ahnen lerne? - Daher kommt es auch, daß Spieler, die es nur praktisch
lernten (mit dem Arme anstatt des Kopfes) es so leicht wieder vergessen,
wenn sie es längere Zeit aussetzen, es gleichsam von Neuem durch Uebung
wieder erlernen müssen, wogegen der theoretisch gebildete Spieler
in einigen Stunden wieder der geübte Spieler ist, der er vorher war.
Uebrigens ist von der Nothwendigkeit der Theorie im Billardspiele
der Verfasser dieser Anleitung keineswegs allein überzeugt; man hat
in England, Frankreich und Deutschland diesem Bedürfnisse mit mehr
und minderem Gelingen abzuhelfen gesucht. Unter den deutschen Erscheinungen
verdient jedoch nur das bereits oben angeführte Leipziger Taschenbuch
für Billardspieler einer ehrenden Erwähnung, die andern sind unglückliche,
verkrüppelte Manufacte, unter denen sich jenes, unter dem pomphaften
Titel "Die Kunst im Billardspiele Meister zu werden" angekündigte
als das allerelendeste auszeichnet.
So bescheiden auch unsere Erwartungen schon seyn mußten, so konnten
wir doch nicht ohne Erstaunen bemerken, wie ein deutscher Verleger
die verunglückte Uebersetzung eines so höchst elenden, einseitigen
und darum ungenügenden, ursprünglich französischen Machwerkes dem
Drucke übergeben mochte, eines Machwerkes, das kaum die französische
sogenannte Carambole=Parthie, in Deutschland fast nur in den Rheingegenden
üblich, mit einiger Gründlichkeit behandelt, dagegen sie bey uns wie
in Ilmenu beliebte große oder Carolin-Parthie, unter dem Rahmen:
Carambole auf russische Art ausführt, und die Zahl der zur Parthie
erforderlichen Points auf 36 oder 40 ( statt 48 ) festsetzt.
Der Verfasser dieses französischen Originals war wahrscheinlich nur
sehr kurze Zeit in Russland, und konnte sich während seines Aufenthaltes
nicht recht Zeit nehmen, die vielleicht früher nie gesehene russische
Carambole, die der Verfasser dieser Blätter jedoch in Petersburg und
Moskau als unsere gewöhnliche Carolin=Parthie spielte, recht ordendliche
zu beobachten; denn solche gegen alle Billardraison streitende Grungsätze,
wie der Verfasser Seite 76 und 77 in den §§. 7,8 und 9*)
auftischt, kann nur ein aller scharfsinnigen
*) S.7. Berührt ein Spieler, indem
er sich aussetzt, einen der drey aufgestellte
Bälle, so verliert er einen Point; berührt er zwey Bälle verliert
er auch zwey Points; Berührt er aber alle dry, so verliert er drey
Points und die Bälle werden wieder auf ihren Platz gestellt; findet
es sich das kein Spieler den Platz eines der drey Bälle eingenommen
hat, so nimmte er ihn weg und setzt sich von Neuem aus.
S.8. Der erste Stoß muß auf den Spieler dessen
gehen, der sich ausgesetzt hat. Macht der Spieler statt dessen einen
von den drey andern, so verliert er so viel Points als er außerdem
gewonnen hätte, und bleibt sein Ball auf dem Platze eines der drey
bunten stehen, so nimmt er ihn hinweg und der Gegner spielt auf
die noch übrigen Bälle.
S.9. Der rothe Ball zählt nur dann als Gewinnst,
wenn er in eines der unteren Löcher gemacht wird, und der blaue
nur in den beyden oberen, jeder von beyden gilt einen Point. Macht
man sie in ein Mittelloch, so verliert man soviel, als man sonst
gewonnen hätte; eben, so, wenn man den blauen in eines der beyden
untern Löcher oder den rothen in eines der obern Löcher spielt:
Ipsissima verba; sapienti sat!-
Vergleichung und gründlichen Untersuchung ermangelnder, flüchtiger
Kopf aushecken;-- daß sie aber einen deutschen Verleger und einen
deutschen übersetzer fanden, welcher Letzere doch wenigstens kenner
des Billardspiels seyn mußte, beweiset abermals, wie viel auf das
alberne Vorurtheil: Alles Ausländische sey besser als unser Einheimisches,
gesündigt werde.
Wir gehen nun zum eigentlichen Unterrichte über, den wir mit der
Kenntniß der diesem Spiele eigenen technichen Ausdrücke beginnen,
zu jener des Terrains und der Werkzeuge übergehen, endlich mit der
Anweisung zu deren Gebrauch fortsetzen und schließen. Da wir eine
vollständige Schule dieses edlen Spieles zu geben uns bestreben, so
hoffen wir nicht den Vorwurf der unnützen Weitläufigkeit zu erhalten,
indem wir meinen: jedes Lehrbuch solle sich den Lehrling als gänzlich
unbekannt mit Allem, was den Gegenstand betrifft, vorstellen. Wir
könnten deher eher befürchten, trotz aller Genauigkeit etwas zu übersehen
oder nicht hinlänglich zu erläuern, und fordern hiermit jeden Kenner
des Spieles auf, uns für eine künftige Auflage dieses Werkes ihre
Bemerkungen und Berichtigungen unter Adresse des Herrn Verlegers zukommen
zu lassen. Gern und dankbar werden wir sie benützen.
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